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Porträt

Oswald Kollreiders Weg vom Bergbauernbub zum international anerkannten Maler war ebenso steinig wie faszinierend. Ein Besuch bei einem großen Osttiroler und heimatverbundenen Weltenbummler. Von Silvia Albrich

 kollreider 02

Am Anfang war eine Schiefertafel, viel Phantasie und Ausdrucksfreude. Die Schiefertafel gibt es nicht mehr, die Phantasie ist geblieben. Die Ausdrucksfreude brachte, gepaart mit großem Talent und Fleiß, in 60 Schaffensjahren eine unermessliche Fülle an Werken: Unermesslich deshalb, weil sie in der ganzen Welt verstreut sind, bei Privatsammlern, in Galerien, Konsulaten und Botschaften vom Vorderen Orient bis nach Südamerika. Kollreider bereiste die Welt als malender Künstler, blieb aber gleichzeitig unerschütterlich heimatverbunden. In Osttirol ist er allgegenwärtig, seine Bilder und Porträts schmücken Hotels und Privathäuser, mit seiner Sgraffito- und Freskokunst auf und in Kirchen, Schulen und Häusern hat er das Land mitgestaltet. Er hat die ländliche Bevölkerung in Sachen Kunstverständnis sensibilisiert und sie in den fünfziger Jahren mit dem Expressionismus konfrontiert. Auf seinen Reisen sammelte er nicht nur Motive aus fremden Kulturkreisen und Religionen, sondern lernte auch verschiedene Kunstrichtungen kennen, die in sein Werk einflossen:

Ich hab' natürlich auch immer wieder experimentiert' dadurch ist es zu verschiedenen Ausdrucksformen gekommen. Dass ich ein Boeckl-Schüler bin, hat natürlich eine große Rolle gespielt, maßgebend waren aber auch die Erlebnisse, die ich bei meinen Reisen mit heimgenommen habe.

Daheim ist er seit nunmehr 42 Jahren in Strassen, und dort im Gemeindehaus, in einer lichtdurchfluteten schönen Stube mit Eckbank und großem Tisch, stelle ich mich als Gratulantin ein: zum 80. Geburtstag, den er - wie es so schön im Wunschkonzert heißt - "in voller geistiger Frische feiern darf". Körperlich ist er leider seit einiger Zeit etwas angeschlagen, kann seine Arbeitshand zwar noch gebrauchen, aber nicht belasten: "Tempera geht nicht mehr, weil die Farbe so zäh ist, ich zeichne und aquarelliere zwar noch, tu mich aber schwer, weil ich kein Gefühl hab'." Er arbeitet aber trotzdem noch jeden Tag, immerhin hat er schon früh lernen müssen, mit Disziplin, Willenskraft und Ausdauer körperliche Beeinträchtigungen zu überwinden. Mit 21 Jahren kehrte er vollinvalid aus Stalingrad zurück - "Lungensteckschuss, Schulterschuss, Armzertrümmerung, ich verlor zwei Finger, noch dazu von der rechten Hand", fasst er die ganze Tragik in einen knappen Satz. Damit war sein Schicksal besiegelt, und das meint er durchaus positiv: Denn sein erlernter Beruf, Maler und Anstreicher, kam nun nicht mehr infrage.

Jahre der Entbehrungen. 1944 machte er die Aufnahmeprüfung an der Akademie der Bildenden Künste. Dorthin kam er über eine Bekanntschaft vor dem Krieg, einen Wiener Ministerialrat, "einer der ersten Gäste im Fremdenverkehrs-Heimatort Kartitsch". Der hatte im Mesnerhaus immer wieder "auf ein Glas Wasser oder Milch vorbeigeschaut" und gemeint: "Das Kind müsste man studieren lassen." Das tat der junge Oswald dann auch und holte dazu die Matura nach. Er machte die ganze Akademie mit der linken Hand (!)‚ denn die rechte Hand war erst nach "x Operationen" wieder zu gebrauchen. Gelebt habe er jämmerlich, erinnert er sich: "Das möchte ich meinem Todfeind nicht wünschen, ich hab in einem Dachboden über dem russischen Postamt gewohnt, bin um fünfe in der Früh schauen gangen, ob in an Papierkorb was zum Essen wegg'schmiss'n war." Auch fürs Zeichnen hat er das Papier, das die anderen wegwarfen, ausgeglättet und verwendet. Aber man habe ihm überall weitergeholfen und bei den Vorlesungen Rücksicht genommen, "weil ich ja wirklich ein Krüppel gewesen bin."

Im Sommer 1946 hat er im Papiergeschäft Gander in Lienz mit Blumenbildern und Porträtstudien die erste Ausstellung, im September verkauft er sein erstes Bild, bekommt erste Aufträge. Anfang der Fünfziger kopierte er Albin-Egger-Lienz-Gemälde, wurde der "dahin beste Pgger-Lienz-Kopist" genannt. Um Geld zu verdienen, ging er zwei Jahre als Grubenmaler und Grubenschlosser - "Maler allein hätt' nicht genügt" - ins Ruhrgebiet, bringt von dort erste Sgraffitoerfahrungen in seine Heimat, in der "diese Manier des aus dem Putz Herausstechens" (Hl. Martin in Lienz - neben der Pfarrkirche) ein Novum war.

Kollreiders offene, liebenswürdige Art öffnete ihm von jeher alle Türen, er knüpfte viele Kontakte, darunter auch zwei besonders wichtige: Johannes Ring, ein "Kunstpapst" im Kölner Raum, verschafft ihm viele Aufträge, und der Iselsberger Dr. Toni Egger, der als Chefgeologe im Rahmen der UNO weltweit Bodenuntersuchungen vornahm, macht ihn in diplomatischen Kreisen bekannt. Mit ihm unternimmt er 1958/59 die erste große Studienreise in die Türkei, danach folgen dann jedes Jahr mindestens eine, später bis zu drei Studienreisen pro Jahr, längere Aufenthalte (1968 Südamerika) oder große Expeditionen (Hindukusch, Afrika-Asien). Die letzte Israelreise erfolgt 1997, nach einer Bypass-Operation fährt er noch einmal nach Ungarn, wo er sich einen Wirbelsäulenbruch zuzieht, danach sind keine Reisen mehr möglich: "Ich hab' gar kein Verlangen mehr zu reisen, ich sag mir, ich hab' das Glück gehabt, so viel herumzukommen, was andere nicht gehabt haben."

Reisen - malen, malen - reisen

Auf dieses Stichwort hin unterbricht Oswald Kollreider seine Erzählung und zeigt stolz eine große Landkarte, auf der alle seine Reiserouten eingezeichnet sind, ineinander verwoben, wie bei einem großen Netz. Genauso waren auch seine Beziehungen, die ihm einen kontinuierlichen künstlerischen Weg ermöglichten: Er wurde empfohlen, hatte immer Aufträge, finanzierte sich damit die nächste Reise, auf der er wieder Eindrücke und Aufträge sammelte: "Fleißig bin i schon gewesen, na was i z'sammgearbeitet hab', was i z'sammgeschunden hab'!"

Mit dem Malen verdiente er sich die Reise oft schon während des Aufenthaltes. Bei Gruppenreisen etwa hat er tagsüber skizziert und in der Nacht gemalt: "Das war Schwerstarbeit, g'schlafen hab i nit viel, ich hätt' noch viel mehr malen wollen, aber ich hab' die Kraft nicht g'habt, ich hab's ja auch verpacken müssen und die Pinsel auswaschen." Am Ende der Reise hat er viele seiner Bilder dann gleich verkauft: "Weil sie die Orte und Landschaften miterlebt haben, hab'n die Frauen zu ihren Männern gesagt, ‚wenn ich ein Bild krieg, brauchst du mir Weihnachten nix kaufen."'

Mit Liebenswürdigkeit und guten Trink-geldern hat er sich auch immer eine bevorzugte Behandlung gesichert, getreu seinem Motto: "Wie du hineintuasch, so kommt es zurück, hab' i denen immer am Anfang ein schönes Trinkgeld geben." Und so hat man ihm in den Hotels immer Leintücher aufgebreitet, auf die er seine Utensilien stellen konnte, und im Autobus war immer genug Platz für sein Gepäck - das ja sehr umfassend war mit Staffelei und Farben. Denn seit er erleben musste, dass die chinesische Tusche, die er in Guatemala über die Botschaft kriegte, nach einiger Zeit verblasste und er alles nachmalen musste, nahm er lieber alles von zuhause mit. Auf die Frage, in welchen Sprachen er sich denn verständigt hat, lacht er: "Ich sprech Kartitscherisch und Strasserisch, habe damit die ganze Welt bereist und bin immer gut zurechtgekommen." Er hat den Leuten zugehört, hat sie beobachtet und Skizzen gemacht und sie besser verstanden als manch andere, die die Landessprache perfekt beherrschten. So hat er auch für seinen Freund Dr. Egger in der Türkei herausgefunden, wo "diese tanzenden Derwische" sind, etwas, was diesem nie gelungen war: "Ich bin alle Tage in der Früh in ein Cafe gegangen, und ein Arbeiter dort hat geglaubt, ich sei ein Schriftsteller, weil ich da schreibe. Er hat mir immer einen Kaffee Nut bestellt, und ich hab ihm zugehört, hab kein Wort Türkisch verstanden, und der hat erzählt und erzählt und erzählt." Eines Tages, als er ihn schon besser kannte, fragte Kollreider nach den Derwischen, "mit Schütteln und Deuten und mit einer Zeichnung." Der zeigte ihm dann auch vier-, fünfmal den Weg, und als er ihn auswendig kannte, "hab ich zu meinem Gastgeber, dem Dr. Egger gesagt: ‚Jetzt zeig ich dir amal, wo die tanzenden Derwische sind."' - Und tatsächlich, da Egger einen Diplomatenpass hatte, durfte er auch zu den Derwischen ins Haus.

Der Porträtist. Gemalt hat er auch im Ausland neben Landschaftsbildern und religiösen Motiven am liebsten Menschen in ihrer Arbeits-, Glaubens- und Lebenswelt, wie etwa einen türkischen Kupferschmied' Fischer in Mallorca, Beduinen-Schnitter, Massai~Frauen, Indianer; betende, ruhende, arbeitende Menschen, Akte und immer wieder Porträts: "Auch als Porträtist bin ich viel, viel herumgekommen und habe immer Aufträge gehabt." Als Porträtist wurde er im diplomatischen Korps direkt weitergereicht, man schätzte seine große Begabung, mit unverwechselbarem psychologischem Geschick die Menschen in ihrem Wesen zu erfassen.,, l)u musst dich erst einileben in den Menschen, oft hab' ich ihnen gesagt, was sie jetzt g'rade denken, so eins worden bin ich innerlich mit ihnen. Das war ihnen fast unheimlich." Das Innere im Äußeren zu manifestieren gelang ihm auch hei der 90-jährigen Laura Egger-Lienz (1966). Kollreider ist der einzige Maler, der je Gelegenheit erhielt, sie zu porträtieren: "Was ich immer hoch geschätzt habe, war das Alter, das hat eine besondere Schönheit, weil es Ausdruckskraft hat." Seine prominentesten "Modelle" waren der englische Schriftsteller Robert Graves ("Strich drunter", "Die weiße Göttin") und der Patriarch der griechisch-orthodoxen Kirche in Jerusalem, Demetrius II. Um zu Robert Graves vorzudringen, stieg er in Palma di Mallorca über einen Zaun, in Jerusalem zum Patriarchen vorzudringen, war etwas schwieriger, denn Demetrius II. durften nicht einmal berühmte griechische Künstler porträtieren. Aber wie so oft kam der Osttiroler Künstler mit Hartnäckigkeit und Beziehungen zum Ziel: "Über den Freund eines Freundes", der den Leibarzt des Patriarchen mitbrachte, der sich dafür interessierte, "was ich unten in Betlehem, wo ich gewohnt hab', gemalt habe", und dessen 94-jährige Mutter er dann so gut zeichnete, dass ihm der Leibarzt dafür "jeden Wunsch erfüllen wollte". Kollreider hatte nur einen: den Patriarchen zu malen. "Da isch ihm der Mund so offen geblieben, und er hat gesagt, das ist ein langer Weg, aber ich hab' allweil wieder gebohrt." Es dauerte fast drei Monate, in denen über das diplomatische Korps Etkundigungen eingeholt wurden, aber dann war es soweit: Der Patriarch ließ bitten, und vier, fünf Erzbischöfe ließen Kollreider im großen Empfangssaal warten. Er war sehr aufgeregt, außerdem war es so heiß, dass ihm der Schweiß in Strömen floss: "Ich hab mir gedacht, bis er kommt, bin ich ausgeronnen und vertrocknet", und als dann auch noch "vor dem Thron so a Neonlampe" immer wieder blinkte, dachte er sich: "Wenn i da malen muss, werd i verruckt." Aber dann kam der Patriarch "und ein großes Licht ging auf und du hast geglaubt, du bist im Paradies!" Der Patriarch saß ihm vier Stunden und das Porträt gefiel ihm so gut, dass Kollreider eine Auszeichnung bekam, "so an Orden halt". Mehr aber freute ihn, dass der Patriarch sagte, er sei stolz, dass ihn ein Österreicher gemalt hat.

In den achziger Jahren brachte ihm sein Renommee auch zu Hause eine Reihe offizieller Porträtaufträge und Ehrungen, darunter die Verdienstmedaille des Landes Tirol und der Berufstitel Professor: "Ich hab' an ganzen Teifl so Zeig kriegt", lacht er, "das sind so diese Dinge, die man als junger Mensch nicht kriegen hat können." Denn klarerweise hat man dafür schon etwas leisten müssen: "Die wichtigste Auszeichnung aber war für mich der Silvesterorden vom Papst", macht Kollreider deutlich, dass er überzeugter Katholik ist. Das Kennenlernen vieler anderer Religionen hat ihn darin noch bestärkt: "Wenn ich geseh'n habe, wie der Hindu oder der Balinese vor jedem Ding die Hände faltet oder den Göttern kleine Geschenke macht, da hab' ich viel gelernt, mit Hochschätzung". Das ist dann auch in seine Arbeit eingeflossen, die Menschen und ihre religiösen Riten. Er sei deswegen aber kein Heiliger, für ihn war das immer so: "Was ich getan hab', habe ich ganz getan: Wenn ich gebetet hab', hab' ich gebetet, wenn ich gesündigt hab', hab' i g'sündigt ... Aber wenn ich gebetet hab, hab ich mit Gott gesprochen, intensiv!" Das hat zur Vertiefung mehr beigetragen als "unsere gut gemeinte und auch ausgeführte Erziehung von Zuhause", die naturgemäß patriarchalisch war. Denn die Kollreider sind 340 Jahre ununterbrochen bis heute Mesner gewesen, in St. Oswald: "Als Kinder haben mir geglaubt, die Kirche g'hört uns!" - zeigt er hinüber auf sein Elternhaus und die Kirche, die genau gegenüber auf der anderen Talseite am Berg oben stehen. "Und dann darf man nicht vergessen: meine schwere Verwundung, so viele Operationen, das hat mich auch geformt, ich war ja ein Krüppel." Auch, dass er nach dem Wirbelsäulenbruch wieder so geworden sei, grenze an ein Wunder. Sein Neffe, ein Chirurg, sagt immer zu ihm: "Tua ja keinen Jammerer, nicht nur, dass du querschnittgelähmt sein könntest, du könntest bis daher (zum Kopf) eine lebende Puppe sein." Und da sei man doch froh und wieder zufrieden, zeigt Kollreider seine positive Einstellung, die ihn ein ganzes Leben lang befähigte, ein hartes Schicksal in einen guten Lebensweg umzuwandeln.

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