Lehner hob vor allem den familiären Rahmen, in dem Kinder oft leichter den Mut finden, über ihre Probleme zu sprechen, hervor und meinte: „Esst mindestens einmal am Tag mit euren Kindern – und ihr werdet mehr über das Leben eurer Kinder erfahren, als es das ständige Nachfragen jemals bewirkt hat.“
Mobbing übersehen heißt Mobbing tolerieren
Die Katholische Frauenbewegung Strassen und die NMS Abfaltersbach luden zum Vortrag „Blaue Flecken an der Seele“ in den Kultursaal von Strassen ein. Der Referent Horst Lehner war über dreizehn Jahre als verdeckter Ermittler beim Innenministerium im Einsatz und musste dort mit schwierigen Situationen und insbesondere mit schwer einzuschätzenden Menschen umgehen lernen. Er gilt als Experte in Sachen Mobbing- Analyse, Prävention und Beratung und hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte entwickelt. Sein Vortrag in Strassen beschränkte sich auf den Psychoterror unter Kindern und Jugendlichen und auf die daraus oftmals resultierende körperliche Gewalt. Er sprach davon, wie schwer in manchen Fällen eine Hilfestellung von außen möglich ist, betonte aber ausdrücklich, dass das Herauskommen aus einem laufenden Prozess ohne fremde Hilfe so gut wie immer scheitert. Lehner kann mittlerweile auf 1000 Einsätze in Schulklassen zurückblicken. Obwohl das einen großartigen Erfahrungswert darstellt, wäre es angesichts des Themas verkehrt, hier von einem „Erfolg“ zu sprechen. Tatsache ist, dass sich keine auch noch so gut geführte Schule der dynamischen Prozesse des Mobbings entziehen kann. Genügend Studien belegen die Existenz jener teuflischen Spirale der körperlichen, psychischen und der Beziehungsgewalt einerseits und der Ratlosigkeit und Ohnmacht andererseits. Die Probe aufs Exempel führte Lehner mit den erwachsenen Anwesenden im Publikum durch und da konnte einem schon einmal das Lachen vergehen, wenn man sah, wie schnell jemand unter dem Beifall der Menge in die Rolle des Opfers gedrängt wird. Mobbing verläuft gruppendynamisch. Der Täter braucht Assistenten und er braucht die „scheinbar Rollenlosen“ als Publikum.
164 Folien hatte Horst Lehner nach Strassen mitgebracht, doch genügte ein halbes Dutzend davon, das Phänomen der gegenseitigen Unterdrückung unter Kindern und Jugendlichen zu erklären. Viel deutlicher noch zeigten gefilmte Szenen, wie grausam in Schulen gemobbt wird. Gewalt muss nicht immer blutende Wunden verursachen. Gerade deswegen wird der Leidensweg des Opfers oft lange nicht erkannt. Österreich nimmt laut Statistik in Sachen Mobbing europaweit die wenig rühmliche erste Stelle ein. Die Selbstmordrate unter Jugendlichen ist erschreckend hoch. Jeder Fall ist einer zu viel.
Man unterscheide präzise zwischen Konflikt und Mobbing. Von Mobbing wird dann gesprochen, wenn folgende Punkte zutreffen: Machtungleichheit, die beabsichtigte Unterdrückungsdauer von mindestens einem Monat, die Mobbing-Häufigkeit mindestens einmal wöchentlich und die Ohnmacht des Opfers, sich allein aus der Situation befreien zu können. Das Wichtigste ist die Täter zu stoppen und die Opfer zu schützen. Lehner riet den Eltern generell viel mit den Kindern zu sprechen, ihnen im Falle des Gemobbt- Seins aber keine Ratschläge zur Selbstverteidigung zu geben. Vor dem Versuch eines schlichtenden Gesprächs zwischen den Eltern des Opfers und den Eltern des Täters warnte er. „Das führt zwangsläufig zu Konflikten und läuft garantiert schief.“ Die Schule ist aufgefordert, klassensoziale Missstände wie mündliche Sticheleien, Ausgrenzung und körperliche Gewalt nicht zu tolerieren und Beratung und Hilfe zu vermitteln.
Am Ende des Vortrags war unter den zahlreich erschienenen Eltern und Lehrern deutlich explosives Pulver zu spüren, was einen ausreichenden Beweis dafür darstellte, wie brandheiß und aktuell das Thema „Mobbing“ – und leider nicht nur unter Kindern und Jugendlichen- ist.
Lilly Papsch