Ich habe als Kind die Schwalben vor meinem Elternhaus in Kartitsch besonders geliebt. Sie saßen stets auf den Leitungen zwischen den Strommästen und sangen in der Früh immer so schön!", schwärmt Theresia Kollreider (87). Diese Schwalben aus längst vergangenen Tagen findet man jetzt auf ihren Stickereien. Wie andere Vögel auch. "Diese Tiere waren immer meines", sagt sie. Allerdings fertigte sie ihre Stickereien mit ungewöhnlichen Stichen. Es sind ihre selbst erfundenen, die in ihrer Umgebung als "Thresl-Stiche" bekannt sind. "Ich stach immer aus dem Gefühl heraus zu", lacht sie. Die Resultate können sich sehen lassen! Und nicht nur Vögel "beflügeln" ihre Werke, sondern Motive aus aller Welt. So etwa Pyramiden, Wüsten, ein ungarisches Sonnenblumenfeld, Jerusalem und Bethlehem oder ihr Elternhaus. Sie liebte es ihre Gedanken, die sich so oft rund um den Erdball drehten, in ihren Werke zu verewigen. Inspiriert wurde sie sicherlich oftmals auch durch Bruder Oswald, den bekannten akademischen Maler, der unzählige Reisen in alle Welt fürs Malen unternahm. "Oswald erzählte immer sehr viel von seinen Reisen."
Mit Nadel und Faden reiste sie in weit entfernte Länder
Doch auch sie selbst schaute sich andere Länder an. Man traf sie nicht nur in Polen, in der Schweiz oder in Frankreich an, sondern auch in Portugal, Spanien, Deutschland und Italien. So machte sie sich auch immer wieder auf nach Venedig. "Die Massen von Touristen störten mich überhaupt nicht. Ich musste nur immer zuschauen, dass ich meine Leute nicht verlor, weil ich keinen Orientierungssinn habe. Die Wanderlust ist uns Kollreiders offenbar in die Wiege gelegt", lacht sie. Eines hält die agile Künstlerin fest: "Oswald zeichnete mir niemals Vorlagen für meine Stickereien. Das ließ mein Stolz nicht zu. Ich machte die Entwürfe alle selbst, fragte ihn lediglich, ob bestimmte Farben zusammenpassen.
Ein gemeinsames Werk der beiden gibt es dennoch! "Oswald begann als Kind einen Spruch mit Kettenstich zu sticken, hat ihn aber nicht fertig gemacht. Ich brachte die Stickerei dann viel später mit Blattstich zu Ende."
Die Farben Orange und Blau waren ihr immer wichtig. Weniger das Material, das sie bestickte. "Gerade was ich an Stoff bei der Hand hatte, nahm ich. Egal, ob das ein Jutesack war oder Leinen."
Mit ihren "Thresl-Stichen" machte sie auch einen Ausflug in die Vergangenheit des Kollreider-Geschlechts. Sie stickte die Geschichte des Hirten Georg Kollreider. Als er am 18. Juli 1660 mit seinen Tieren unterwegs war, brach ein schweres Unwetter über ihn herein. "Alle Schafe waren tot. Doch der Hirte und eine Ziege überlebten", erzählt Kollreider.
Auch drei Messkleider bestickte sie. "Erst hernach überlegte ich mir, wem ich sie eigentlich schenken könnte." Mittlerweile sind sie in Innsbruck, im Gardatal sowie in England in besten Händen. "In England trägt das Kleid ein Priester, der mit der englischen Flotte alle Weltmeere befuhr. Deshalb gab es für ihn die Stickerei "Der Sturm auf dem See Genezareth". Er hatte eine riesige Freude damit", schmunzelt Kollreider.
Halbe Nächte
Bei den aufwändigsten Stickereien saß sie 13 bis 14 Wochen lang. "Zwar nicht den ganzen Tag, aber bis ein oder zwei Uhr in der Früh. Die Stickerei war einfach meine große Liebe. Ich habe immer ganz sehnsüchtig darauf gewartet, bis ich wieder ein bisserl Zeit dafür hatte."
Langweilig wurde ihr jedenfalls nie als Bruder Oswald drei Viertel des Jahres auf der ganzen Welt unterwegs war. Immerhin leben beide schon seit 45 Jahren im gemeinsamen Haushalt in Strassen. "Um Familienanschluss zu haben, bin ich dann immer zu meinen Nachbarn Eder und Bodner. Ich nahm immer mein Stickzeug mit und machte dort weiter. Das war ganz normal."
Sie zeigt auf eine uralte Madonnenstatue in ihrem Hausflur, eingehüllt in ein prächtiges Gewand. "Ich habe vier solcher Gewänder für die Madonna gestickt. Nach Lust und Laune wechsle ich sie. Die Statue schenkte mir eine alte Frau aus Wien. Sie sagte: "Wenn ich tot bin, geben meine protestantischen Verwandten die Madonna auf den Dachboden. Das will ich nicht."
Kollreider schenkte ihre schönsten Stickereien, wie etwa den "hl. Oswald" oder das "Moldaukloster", vor einiger Zeit dem Diözesanmuseum in Brixen, dem auch Bruder Oswald 45 seiner Werke überließ. "Vermutlich schon heuer wird dort ein eigener Kollreider-Raum entstehen, in dem dann auf Dauer unsere Arbeiten gezeigt werden", freut sie sich. Ausstellungen von ihren Arbeiten gab es bislang auch in Kartitsch und Anras.
Geliebte Kerzen
Kollreider wurde in ihrer Region auch durch ihre Kerzen bekannt. Meistens verzierte sie diese mit Wachsfiguren, die sie aufwändig gestaltete. Vor allem ihre Hochzeitskerzen waren weitum begehrt. "Ich legte vor allem auf den Gesichtsausdruck der Figuren stets großen Wert. Dafür musste ich mit der Nadel sehr genau arbeiten, damit Mund und Augen ja nicht verzogen wurden."
Angefangen hatte sie mit Wachsarbeiten, als sie ein Nachbarsmädchen zu einem Kurs für die Herstellung von Wachskerzen mitschleppte. "Ich ging tatsächlich nur mit Ach und Krach mit. Es waren ja alles nur junge Mädchen dort", lacht sie.
Ihr künstlerisches Talent legte sie ebenso beim Glasmalen oder Stricken an den Tag. Und sogar auf der Heimatbühne Kartitsch, auf der sie 30 Jahre lang meist Hauptrollen spielte. "Jener Ministerialrat Doktor Böcki, der auch Oswald auf die Akademie der Bildenden Künste nach Wien brachte, sagte immer zu mir: "Sie haben Talent! Gehen Sie doch zur Bühne!" Doch ich hatte überhaupt kein Interesse, obwohl ich es künstlerisch sicher geschafft hätte", sagt sie.
Seit einigen Jahren macht Kollreider die Halswirbelsäule große Probleme. "Ich musste alle meine Stickereien und fast alle sonstigen künstlerischen Arbeiten zurücklegen. Aber ich habe ohnehin im Haushalt genug zu tun, da bin ich ausgelastet!", nimmt sie es humorvoll. "Und mich muss sie ja auch noch ertragen!", wirft Bruder Oswald lachend ein.
Fühlte sich Kollreider je im Schatten ihres Bruders? "Nein Niemals! Das wäre mir nicht eine Sekunde in den Sinn gekommen", versichert sie vehement. Sie wollte lediglich mehr im Hintergrund bleiben. "Ich war einfach schon damit zufrieden, wenn jemand mit meinen Arbeiten Freude hatte." Doch eines ist sicher: Stolz sind die Geschwister aufeinander allemal!