Direktor des Diözesanmuseum Hofburg Brixen
Lieber Oswald und liebe Thresl Kollreider
Sehr geehrte Festgäste und Freunde
Das Bild, das Oswald Kollreider von seinen Anfängen an als beständige Herausforderung vor Augen stand, ist der Mensch. Man kann sich unzählige Bilder anschauen, die in einer gewissen Respekthaltung vor den Menschen stets den Zug einer konkreten, wirklichen Wiedergabe und eines bestimmten Blickes gewählt haben. Das Abstrakte hätte die Konturen zu sehr verwischt und den Gegenstand unsichtbar gehalten. Kollreiders Augen werfen eine nachvollziehbare Vorstellung, die auch verstanden, rezipiert, geschaut werden kann, die mitteilsam auf Kommunikation hin ausgerichtet ist, wenn sich auch der Schaffensprozess selbst in aller Abgeschottetheit vollzieht, denn es hat den Kollreider noch keiner malen sehen.
Der Mensch ist im Bild. Der Titel der Ausstellung rührt also auch an der Menschlichkeit des Künstlers, die er spiegelgleich ins Bild bringt.
Kollreiders Menschenblick ist in unzähligen Porträts eingefangen. Seine Art, sich auf die Arbeit vorzubereiten, beginnt mit Aufregung und penibler Zubereitung. An der Schriftstellerin Christina Lavant beispielsweise interessieren ihn zuallererst die Augen. Eine gewiss eigenwillige Frau, die sich, auf Kollreiders Anfrage hin zum Porträtsitzen bereit erklärt. Und sie begeistert vom Ergebnis. Die Art, auf Menschen zuzugehen, mit ihnen ohne Anstrengung über Gott und die Welt zu reden, ist das große Können des Künstlers, der all seine Menschensicht mit in das Porträt gebaut hat. Unzählige Begebenheiten hängen an den Erfahrungen des Porträtierens. Christine Lavant gemalt, Robert Graves auf seiner feinen Hazienda in Mallorca gemalt, die Frau von Albin Egger-Lienz gemalt, von der ansonsten es nicht einmal ein Foto gab. Die offene Art hat Kollreider viele Türen geöffnet, freilich auch manche, die mit seiner Kunst nichts anzufangen wussten. Neureiche in Leverkusen, die zwingend einen Kollreider haben wollten, aus reinen Prestigegründen, haben das Porträt der Kinder nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Die zum Leben hin operierte "Prinzessin", die laut Kollreider "ein kleiner Teufel war", gefiel im Porträt so wenig, dass die Mutter, die nur ein verklärendes Bild ihrer Tochter hatte, es zurückgeben ließ. Und Kollreider nahm es an und zahlte zurück. Anders beim blutkranken Kind des Stadtbaumeisters in Leverkusen, das in all seiner Verstelltheit im trauten Zusammensein mit der Puppe gefällt und ein verklärendes ganzheitliches Licht auf die Kleine wirft.
Beim ersten Strich ist auch schon die Aufregung weg. Er malt das Gesicht und nicht das Gewand. Das war Kollreiders Entgegnung, als ein Herzspezialist in Pension sich mit weißem Kittel zum Porträtmalen setzte und sich für unpassend angezogen hielt. Für Kollreider gibt es kein nachträgliches Ausbessern, keine Korrektur, keine Einwandberücksichtigung. Der zufriedene Blick des Schöpfers korrigiert nicht an seinem Geschaffenen herum. Der Blick, der in den unzähligen Porträts eingefangen ist, zeugt von einer tiefen Achtung vor dem Menschen.
Man kann sagen, Oswald Kollreider hat sein Leben lang gemalt, sein Leben gemalt. Sein Leben malen, heißt, letztlich im Bild auch die erste Freude und die letzte Gewissheit zu haben. Was andere ein Leben lang denken, in Worte fassen, schaustellern und erarbeiten, das hat Kollreider in verschiedenen Formen, in unterschiedlichen athmosphärischen Zuständen in das Medium der Farbe und in die erfahrbaren und zugleich bemessenen Grenzen des Bildrahmens übertragen.
Oswald Kollreider sieht seine Künstleraufgabe aus der örtlichen Verwurzeltheit heraus. In seinem Kurrikulum zeichnet er in der Summe keine großen Sprünge, der Weg von Kartitsch nach Strassen beschreibt seine Lebenswanderschaft. Aber es kommen immer wieder Aufenthalte im Draußen, weit weg. Um durch die Distanz erneut die Nähe ertragen zu können und sie verteift zu begreifen. In Schichten wurde Heimat aufgebrochen, in der Ferne liegen Kollreiders Bildthemen. Er ist kein Heimatmaler, auch nicht einer im besten Sinne, kein Defregger, kein Egger-Lienz, kein Bachlechner. Auf weiten Reisen hat Kollreider seine Persönlichkeitsnische gefunden und die Welt in sich selbst entdeckt.
Dem Künstler sind auch Bilder verdankt, die Ikonen sind, ohne deshalb frömmelnd zu wirken. Die Bilder mit religiösen Inhalt wirken wie Ergebnisbilder der eigenen überzeugung, ohne vereinnahmen zu wollen. Er hat sich am Gründonnerstag eingesperrt, um in seiner Kunst den Karfreitag durchzumalen. Hier tut sich ein Feld der Mystik auf. Es sind durchlittene Bilder, Bilder einer Compassio, in der Schmerz und Leid zur Eigenerfahrung geworden sind. Dass gerade auffällig in den Passionsszenen eine große Distanz zum festgefügten Pinselstrich wahrzunehmen ist, hat nicht zuletzt mit dem Inhalt dieser Bilder zu tun, die den Maler in seiner Selbstreflexion zu unerwarteten Loslassen animierten, die in eine Art Befreiung auslief.
Kollreider malt als ein glaubender Mensch. Er birgt in seinem Innersten ein Gottes- und Menschenbild, das sich nicht ausschließt, sondern ergänzt. Sein Hader mit Gott zeigt sich quasi in der Geste eines Alttestamentlers, in der unstillbaren Unruhe im eigenen Selbst. Das sakrale Themenspektrum ist breit, zum Teil aus der Tradition schöpfend, diese aber zugleich auch weiterentwickelnd, aber immer auf den Rezipienten bedacht, um Anteilnahme bemüht. Es ist eine religiöse Kunst, die verstanden werden will und verstanden werden kann.
Unzählige Male hat Kollreider Vesperbilder gemalt. Christus im Schoß seiner Mutter. Und die Bilder sind mehr als nur die formale Gelegenheit, einen männlichen Akt in Frauenarmen zu zeigen. Die Grenzerfahrung des Menschlichen im eigenen Leid wird zur Grenzmarke des Darstellbaren. In keiner seiner Darstellungen geht Kollreider so weit über sich hinaus wie in der Darstellung von akkumuliertem Schmerz und Leid, so dass das Bekenntnisbild zum Grenzbild wird, zu dem der Künstler aufschauen kann.
Die Reise in die weite Welt - es gab große Fahrten 1958 in die Türkei, 1962 nach Mallorca, 1964 nach Spanien, 1968 nach Guatemala, x-mal nach Israel, oder besser gesagt ins "Heilige Land", 1975 nach Bangkok, 1977 nach Bali, 1980 nach Peru, 1982 nach Kenia, 1983 nach Florida u.s.w. - mit dem Zweck behaftet, den eigenen heimatlichen Wurzeln in der Ferne auf die Spur zu kommen. In Landschaften und Blumen, in Gesichtern und Handlungen hält Kollreider das in seiner flotten Zeichentechnik und seinem pastosen Farbauftrag fest, was man ruhig als Seelenbilder bezeichnen könnte. Es gibt keinen Bruch, ob hier oder da, es gibt keine sozialkritische Note, es gibt ein farbiges Staunen und eine große Freude am Leben, die sich in seinem Werk in bunten Farben zeigt.
Vor uns liegt ein Lebenwerk, das sich ganz dem produktiven Schöpfungsprozess des Bildes verschrieben hat. Was Peter Handke im "Bildverlust" zur idealen Landschaft kreiiert, ist die Gegenwelt zur Bildermasse, wie sie uns moderne Menschen umgibt. Diese verstellt jedoch den Blick auf die eigenen, selbst erlebten und angeeigneten Bilder, auf die eigene Anschauung. Allein in einer utopistischen Kommune, wohin sich Menschen vor dem Bildverlust gerettet haben, gewinnen die Protagonisten die Einsicht, dass im Schauen aller Anfang begründet liegt, der Anfang für eine Erfassung und Vorstellung vom eigenen Selbst und von der Welt. Kollreider ist sich der Notwendigkeit einer solchen Anschauung längst bewusst und seine Auseinandersetzung mit dem Bild mutet an wie eine einsame Insel, auf der sich noch natürliche Augenerfahrung quasi wie im Reservat erhalten hat. Nicht jener ist stark, so eruiert aus Handkes Roman, der sich abschließt, sondern der, der sich öffnet.
Wenn nun durch die generöse Schenkung durch Oswald Kollreider ein Querschnitt seines Lebenswerks auf Dauer dem Diözesanmuseum in der Brixner Hofburg übermittelt ist, und mit diesem eine Fülle von Dokumenten seiner Reisen, Ausstellungen und Begegnungen, so bedeutet dies für das Haus die Verpflichtung, Heimat zu sein für einen Großen, der sein Menschsein ins Bild gefasst hat. 45 Arbeiten hat Kollreider gewissermaßen als Vermächtnis für die öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Die Brixner Hofburg bleibt somit der Ort der Begegnung mit den Arbeiten des Künstlers. Und so wird sein Zeugnis auch für Morgige wachgehalten. Die Auswahl der Bilder sieht eine lückenlose Dokumentation aller seiner Schaffensperioden vor, von der Zeit in den Kohlengruben im Ruhrpott bis hin zu jüngsten Arbeiten, die bereits von der freien Sicht des Alters zeugen. Im Abschreiten der Ausstellungsräume wird man sich der langen Dauer eines tätigen Lebens bewusst. Die Vielfalt der Themen, die Meisterschaft in Aquarell und Temperamalerei zeigt uns einen pastosen, fast schon farbzornigen Kollreider aber auch jenen der leisen Töne. Das Beiläufige an Objekten und Gesten hat Kollreider interessiert. Es sind nicht die Themen der Tagespresse, es sind Gesichter, die vom Herzen aus gesehen sind.
In der Ausstellung sind auch Arbeiten von Thresl Kollreider gezeigt. Es sind Handnäharbeiten, die größtenteils nach Bildvorlagen entstanden. An der Seite ihres Bruders fand auch Thresl zu einer subtilen Kunst, die in mühevoller Kleinarbeit und immensem Zeitaufwand wiederum dem Bild gilt, das es in diesem Fall in farbiger Wolle nachzuzeichnen gilt.
Beiden ist auf das herzlichste zu Danken: Prof. Oswald Kollreider für die noble Geste der Schenkung, Frau Thresl Kollreider, dass sie aus ihrem Fundus einige Handnäharbeiten (siehe Stickbild links) zur Verfügung gestellt hat.
Es bleibt mir noch allen zu danken, die am Zustandekommen der Ausstellung ihren Anteil haben. Friedrich Wieser hat mit persönlichem Aufwand Bilderrahmen neu gefertigt, auch den Transport der Leihgaben arrangiert, dafür gebührt ihm namentlicher Dank. Im Haus haben sich Frau Dr. Patrizia Mair, Marion Aichner und unser Hausmeister Mag. Andrea Terza sehr um die Verwirklichung bemüht, ihnen sei herzlicher Dank gesagt.
Ich wünsche mir, dass nun Ihnen beim Besuch der Ausstellung die Augen aufgehen für den wachen Blick des Malers und seine Erfahrungswelt, die er uns in seinen Bildern mitteilsam schenkt.